Kinder beim Abendmahl
Vortrag im Pastoralkolleg Meißen 2006
Dass ich Freude am Abendmahl gefunden habe, ist ein Wunder und war nach den
Erlebnissen in meiner Kindheit nicht zu erwarten. Als kleines Kind durfte ich
im Gottesdienst auf Muttis Schoß sitzen. Aber zum Abendmahl ging sie allein
nach vorn zum Altar, ich musste in der Bank sitzen bleiben. Es dauerte eine
Ewigkeit, bis Mutti zurück kam.
Später sang ich in der Kurrende, dem Kinderchor. Wenn der Gottesdienst zu
Ende war, mussten wir noch zum angehängten Abendmahl bleiben. Ein paar ältere
Leute versammelten sich vorn, knieten an der Altarschranke, empfingen eine Hostie
in den Mund, liefen hinten um den Altar herum und empfingen auf der anderen
Seite einen Schluck aus dem Kelch. Wir sangen von der Empore aus die Abendmahlsliturgie.
All das war fremd und eigenartig.
Es kam der Konfirmanden-Unterricht. Wir lernten, das Abendmahl sei das Allerheiligste,
man dürfe es nicht unwürdig empfangen. Es unterscheide uns Lutheraner von den
Katholiken und Reformierten: Es ist der Leib oder es bedeutet der Leib.
Eines Tages erzählte ein Freund triumphierend, er hätte sich bei einem Jugendgottesdienst
mit an den Altar gestellt und das Abendmahl empfangen. Der Pfarrer hätte nicht
gemerkt, dass er noch nicht konfirmiert ist.
Der Konfirmationsgottesdienst war ohne Abendmahl, aber vier Tage später,
am Gründonnerstag, fand das Erstabendmahl statt. Damit niemand schwänzt, wurde
erst dann die Konfirmationsurkunde ausgegeben. Für mich hatte die Feier etwas
Beklemmendes. Auf dem Heimweg machten wir uns Luft, indem wir besoffen spielten.
In der Folgezeit mied ich den Gottesdienst und besonders das Abendmahl, obwohl
ich in der Jungen Gemeinde aktiv mitwirkte.
Die Wende kam erst in der Studentengemeinde. Mit den Freunden an Gottes Tisch
treten, nach allem Hören und Diskutieren die Freundlichkeit Gottes schmecken
und sehen, Gottes Erbarmen erleben, als Sünder unverdient angenommen sein. In
einer Arbeitsgruppe bereiteten wir Gottesdienste vor, die durch moderne Sprache
und Gestaltung näher an unserem Leben dran sein sollten – selbstverständlich
Gottesdienste mit Abendmahl.
Als Dorfpfarrer wollte ich meinen Konfirmanden das Abendmahl nahe bringen,
es sollte nicht nur theoretisch verhandelt und bei der Konfirmation übergestülpt
werden. Auf der Konfirmandenfreizeit feierten wir zweimal Abendmahl, einmal
am Tisch und einmal in der Kirche – beides von der Gruppe vorbereitet. Und natürlich
durften Kinder mit ihren Eltern zum Altar kommen; sie wurden gesegnet.
Vom Dorf wechselte ich in eine Leipziger Stadtgemeinde. Dort hatte der Kirchenvorstand
die Beteiligung von Kindern am Abendmahl beschlossen. Nach einer Hinführung
in der Christenlehre, etwa im achten Lebensjahr, durften Kinder mit ihren Eltern
zusammen Brot (die Hostie) und Wein (oder Traubensaft) empfangen. Es fiel mir
nicht schwer, diese Entscheidung mitzutragen. Ich erlebte, wie die Kinder das
Mahl empfingen: Freudig, ernsthaft, dankbar. Noch wunderten sich ältere Gemeindeglieder
darüber, später nur noch Gäste. Ein Gemeindeseminar über das Abendmahl und die
jährliche Vorbereitung der Achtjährigen, in die auch die Eltern einbezogen wurden,
vertieften das Verständnis dieser heiligen Handlung. Im Verlauf der Jahre zeigte
sich, dass die Heranwachsenden ein positives Verhältnis zum Gottesdienst fanden
und auch als Jugendliche weiter gern am Abendmahl teilnahmen. Allerdings war
die Teilnahme von Kindern am Abendmahl eingebettet in eine Gemeindearbeit, in
der Freizeiten, Familientage, Gemeindefeste und ein Kinderchor zur Tagesordnung
gehörten.
Nach dem Wechsel in eine Kleinstadt musste ich mich wieder umstellen. Die
Gottesdienste waren von älteren Menschen besucht, fast ohne Kinder, es gab Sakramentsgottesdienste
und Predigtgottesdienste mit angehängtem Abendmahl. Ich konnte den Kirchenvorstand
und die Mitarbeiter für die Beteiligung der Kinder am Abendmahl gewinnen. In
den Folgejahren machten wir ähnlich gute Erfahrungen wie in Leipzig. Ein Teil
der Gemeindeglieder blieb aber skeptisch. Durch unterschiedliche Auffassungen
in der Frömmigkeit, im Gemeindeaufbau und bezüglich des Gottesdienstes wurde
auch das Abendmahl mit Kindern immer wieder einmal diskutiert.
Im folgenden will ich solche Probleme benennen.
1. Die Altersgrenze
Die Erfahrungen der katholischen Kirche und die Möglichkeit der Hinführung
in der Christenlehre sprechen für das Alter von sieben bis acht Jahren. Kinder
können wesentliche Inhalte des Abendmahls verstehen.
Kleinere Kinder verstehen oft nicht, weshalb sie vom Essen ausgeschlossen
werden.
Die Segnung wird dann als minderwertiger Ersatz empfunden. Orthodoxem Verständnis
folgend, teilen manche Eltern ihre Hostie mit ihrem Kleinkind.
2. Die Konfirmation
Der Konfirmationsgottesdienst wird mit Abendmahl gefeiert. Die Konfirmanden,
die mit dem Abendmahl vertraut sind, empfinden es als einen Höhepunkt – gleich,
ob sie es in der Gruppe oder mit Eltern und Paten zusammen empfangen.
Es gibt die Sorge, die Konfirmation könne an Inhalt verlieren, wenn
sie nicht mit dem Erstabendmahl verbunden ist.
3. Ungetaufte beim Abendmahl
In der missionarischen Situation unserer Zeit sind häufig Ungetaufte in den
kirchlichen Kindergruppen und somit auch im Gottesdienst. Abendmahl setzt aber
die Taufe voraus. Schließt man Ungetaufte aus, kann das diese abstoßen und verletzen.
Oft sehen diese aber ein, dass Abendmahl mit der vollen Zugehörigkeit verbunden
ist, und der Wunsch nach der Taufe wächst. Bei aller grundsätzlichen Klarheit
sind hierbei seelsorgerliche Einzelentscheidungen gefragt und viele Gespräche
nötig. Dabei ist die Situation bei Kindern nicht wesentlich anders als bei Erwachsenen.
4. Wein oder Traubensaft?
Kindern schadet ein Schluck Wein nicht, viele empfinden ihn aber als unangenehm.
In den Gemeinden, die Alkoholikern zuliebe Traubensaft ausspenden, kommt
dies auch Kindern zugute. Kinder können auch auf den Wein verzichten und den
Leib Christi nur in der Gestalt der Hostie empfangen.
Nach kirchlicher Ordnung soll die Spendung von Wein die Regel, von Traubensaft die Ausnahme bzw. Ergänzung sein.
5. Unsicherheit: Wer empfängt?
Der Ausspendende ist oft unsicher, welches Kind kommuniziert und welches nicht. Einige Regeln helfen: Kinder strecken die linke Hand vor. Wer die Hand unten lässt, wird gesegnet. Man fragt die größeren Kinder bzw. bei den kleineren die Eltern.
Wer von den beiden Ausspendenden die Kinder besser kennt, spendet das Brot.
6. An einem anderen Ort zu Gast
Solange das Abendmahl mit Kindern nicht überall praktiziert wird, sind Klärungen
nötig. Eltern oder Leiter von Freizeiten besprechen vor dem Gottesdienst, wie
es beim Abendmahl gehalten werden soll.
7. Verhalten der Kinder
Kinder, denen das Abendmahl vertraut ist, verhalten sich natürlich und würdig.
Es kann vorkommen, dass Kinder, besonders in Gruppen, plötzlich über etwas
lachen müssen. Das ist natürlich und bedeutet keineswegs, dass das Abendmahl
lächerlich gemacht wird.
Wer das Abendmahl für eine todernste Sache hält, weil es an Jesu Tod
erinnert, mag an einem Kichern der Kinder Anstoß nehmen. Man vergesse aber nicht
die Freude der Auferstehung!
Wie kann man eine Abendmahlsfeier gestalten, an der Kinder beteiligt sind?
Die Frage sollte man auf den gesamten Gottesdienst ausweiten. „Beteiligung“
ist das Zauberwort für kinderfreundliche Gottesdienste: Mitsingen, mitbeten,
an einer Aktion mitwirken, Geld einsammeln, Bücher oder Zettel austeilen, etwas
vorspielen...
Das Abendmahl ist gegenüber dem sonstigen Gottesdienst der Erwachsenen im Vorteil:
Kinder können sich bewegen, kommen, stehen, Hand ausstrecken, gehen.
Kinder empfangen etwas, sie sehen und schmecken, sie sind den Großen gegenüber
gleichberechtigt (empfangen nicht mehr, nicht weniger), dürfen Danke sagen.
Sie verschwinden nicht in der Masse, sondern werden persönlich angesprochen.
Eine geeignete Form für die Ausspendung ist der Kreis (bzw. Halbkreis) am
Altar. Das Kind empfindet die Nähe des heiligen Ortes mit Kreuz, Kerzen und
kostbarem Abendmahlsgerät.
Das Kind empfindet die Gemeinschaft der am Altar Versammelten. Dieser Eindruck
kann verstärkt werden, wenn man einander mit Handschlag den Friedensgruß sagt
oder sich am Schluss der Ausspendung an den Händen fasst.
Teile der Liturgie (z. B. das Agnus Dei) können mit den Kindern geübt bzw.
gelernt werden. Das Vaterunser wird gemeinsam gesprochen. Man kann sich nach
dem Empfang bekreuzigen.
Im Rahmen einer Familienfreizeit, eines Abendmahlsseminars oder eines Familiengottesdienstes
kann das Abendmahl, abweichend von der liturgischen Ordnung des Sonntagsgottesdienstes,
noch stärker auf die Kinder zugeschnitten werden.
Kindergebete und –lieder, biblische Bilder oder Spiel, andere Formen der
Austeilung bzw. Beteiligung der Kinder daran, Gestaltung des Raumes und der
Musik sind zu nennen.
Brot backen, Saft aus Weintrauben pressen, den Altar mit Blumen schmücken,
Gebete mit Kerzen sprechen, anschließend Gaben zu Kranken bringen – einige Möglichkeiten
seien angedeutet.
Bin ich zu klein für den Herrn Jesus, fragte ein Kind seine Mutter, nachdem
das Abendmahl an ihm vorübergegangen war. Ist das Kind alt genug? Versteht es
genug? Kann es schon richtig glauben? Verhält es sich würdig? So fragen Christen,
wenn es um die Teilnahme von Kindern am Abendmahl geht. Aber sind wir denn würdig?
Verstehen wir genug vom Geheimnis der Eucharistie? Glauben wir richtig?
Vergessen wir nicht, dass es keinen Text gibt, in dem Jesus die Kinder zurechtweist
oder wegschickt. Es gibt aber Texte, in denen Jesus die zurechtweist, die Kinder
wegschicken.
„Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen“,
sagt Jesus. „Lasst die Kinder zu mir kommen.“